MIT UNS ERREICHST DU DEINE ZIELE
Bereits in der ersten WingTsun-Stunde gehen wir intensiv auf das Thema Selbstverteidigung und Selbstbehauptung ein. Wir klären wie gefährliche Situationen ablaufen, in welcher Phase der Eskalation man sich befindet und welche Möglichkeiten man hat, um sich selbst zu behaupten und notfalls zu verteidigen. Durch unsere Struktur bringen wir etwas Ordnung in die chaotische Situation.
“Viel wichtiger als ein harter Fauststoß ist das Selbstbewusstsein, das man durch das Training erlangt. Das ist es, was Täter abschreckt.” — GM Keith R. Kernspecht
Wenn wir von WingTsun -unserem Stil- sprechen oder wir uns mit anderen Stilen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede unterhalten wollen, müssen wir in drei wichtige Schreibweisen unterscheiden. Mit dem EWTO System meinen wir immer das von Großmeister Kernspecht verbreitete WingTsun System, welches traditionelles chinesisches WingTsun sowie moderne Unterrichtsprogramme beinhaltet.
Drei wichtige Schreibweisen:
WingTsun gehört zu den inneren und Prinzipien-orientierten Stilen. Somit ist es egal, ob wir viele oder wenige Techniken vermitteln. Denn die Technik zeigt dir immer nur den Weg zu einem übergeordneten Prinzip. Hast du die Funktion einer Bewegung verstanden, wirst du die Technik nur noch als Beispiel ansehen. Dies schmerzt bloß die Tradition und erschwert dem Übenden ein klares Ziel zu verfolgen, da er glaubt, er müsse diese oder jene Technik noch erlernen oder wieder vergessen. So entstehen dann beliebt Muster wie: „Was mir liegt, behalte ich, was mich zur Mühe zwingt, schmeiß ich raus.“ Mühelosigkeit ist das Ziel des Meisters, nicht jenes des Anfängers oder Lehrers. Um wieder auf den „Stil“ zurück zu kommen. Die Prinzipien und die Mottos einer Kampfkunst, machen diesen zum Stil … und der Kampfkünstler muss sich auch daran halten lernen. Ansonsten macht er Vieles, aber nie das Richtige.
Am Anfang gab es Wing Chun von Chinesen für Chinesen. Wo genau der Ursprung der Kampfkunst WingChun lag, lässt sich heute noch nicht klar beweisen. Fest steht, dass es viele Gemeinsamkeiten mit einem alten indischen Mui Tai Stil gibt, dem sogenannten „Luft Affen“. Aber auch der Europäer war den Mottos des heutigen WingTsun nicht abgeneigt. So haben schon die Griechen und einige andere Stadt-Staaten vor hunderten von Jahren die Zentrallinie, den hohen Stand mit Gewicht am hinteren Fuß und eine Art „Chi-Sao“ gekannt. Vertiefend dazu empfehlen wir das Buch von GM Kernspecht über den Zweikampf.
Das WingChun, aus welchem unser Stil entsprang, entstand vor ca. 300 Jahren im Tai-Leung-Gebirge. Dieses alte WingChun hat sich durch die Geschichte, wie wir sie kennen, bis zum verstorbenen Großmeister Yip Man getragen. Traditionell, und seit Leung Jan lokal gebunden. Auch Bruce Lee und GM Leung Ting haben WingTsun unter diesen Bedingungen gelernt. Warum es nicht dabei geblieben ist, ist so schnell wie einfach erklärt.
Durch äußere Umstände ließ sich der verstorbene GM Yip in Hong Kong nieder. Die Stadt stand unter der Kolonialherrschaft der Engländer und wurde auch von diesen verwaltet. Um Ordnung in das chinesische „Chaos“ zu bringen, mussten alle gewerblichen Einnahmen angemeldet werden. So auch die KungFu Schule von GM Yip Man. Da Yip Man kein Englisch sprach, schickte er einen Schüler zu den Behörden, von dem er glaubte, dass er diese Sprache beherrsche. Aber zwischen Können und verstehen liegen oftmals Welten. Durch die wohl eher dürftigen Sprachkenntnisse entstand dann aus WingChun die Schreibweise VingTsun. GM Leung Ting wurde von GM Yip als Schulleiter berufen. Von den älteren und längeren Schülern GM Yip`s aber nicht anerkannt. Er wählte die phonetisch korrekte Schreibweise WingTsun.
WingChun stand für den jungen Leung Ting ebenfalls als Schreibweise zur Wahl, wurde aber aufgrund der Abkürzung „WC – Water Closet“ im englischen Wortgebrauch nicht genommen. Bruce Lee verwendete anfangs diese Schreibweise in Amerika, da dort die Abkürzung „WC“ keine einschlägige Bedeutung hat. Es gibt noch einen weiteren Stil, der sich mit „WC“ abkürzen lässt und sich an die Erfolgsgeschichte von WingTsun anhängen möchte: Weng Chun. Dieser Stil hat nichts mit WT zu tun, auch wenn in diversen Foren und Internetsuchmaschinen oftmals fast schon verkrampft Zusammenhänge gesucht werden. Ähnlichkeiten (hier nur die Schreibweise) sind keine Gemeinsamkeiten!
Um die Geschichte noch abzurunden, sei noch kurz erwähnt, dass WingTsun nach seiner ersten Schülerin (nicht nach der Gründerin) benannt ist: Yim Wing Chun. Was so viel heißt wie: Ode an den Frühling, preiset den Frühling oder kurz gesagt schöner Frühling.
Vergleicht nun ein Laie diese drei Schreibweisen miteinander, wird er sich erst einmal den Äußerlichkeiten widmen. Jene Attribute miteinander vergleichen, welche er auf Bildern, Videos und der jeweiligen Homepage wieder erkennen kann. Sieht es aus wie WingTsun, muss es wohl auch WingTsun sein, oder?! Wir wissen, dass dies Aufgrund der oben schon erwähnten Unterscheidung von Stilen nicht so ist. Objektiv wird der Laie nun folgende Dinge erkennen und vergleichen können:
Beschäftigt sich der Laie nun von innen heraus mit Kampfkunst, muss er beginnen, die oben genannten Äußerlichkeiten mit den Prinzipien des WingTsun und deren Bewegung – aber auch jedes Handeln vor der Bewegung (Antizipation) – systematisch zu vergleichen. Dann kann er erkennen, ob es sich um das handelt, was er gerne lernen möchte. Für uns heißt es das aber auch: „In jeder Bewegung meines Handelns, muss ich mich fragen, ob ich die Prinzipien nun befolge oder nicht.“ Was sind nun diese Prinzipien und Mottos, von denen wir schon mehrmals geschrieben haben:
Der jetzige Aufbau des WingTsun zeigt, dass WT eine Kampfkunstsystem ist, welche sich dem gegnerischen Angriff durchaus auseinandersetzt. Diesen nicht als Störfaktor sieht oder versucht diesen zu blocken. Die zentrale Aussage dahinter ist die Anpassung, das Aufnehmen. Der fortgeschrittene WingTsun Künstler ist formlos, zeigt kein Anzeichen eines Stiles, bietet nichts Greifbares. Zum Vergleich noch der ältere und aggressivere Aufbau (welcher für schnelle Selbstverteidigungsfähigkeit optimal ist).
Der aufmerksame Leser sieht sofort die Gemeinsamkeit mit den „ursprünglichen“ Prinzipien. Die aus dem Jahr 1987 stammenden Prinzipien wurden einfach umgedreht. Warum? Weil es funktionierte und dem Wissensstand und der emotionalen Reife des Autors entsprach.
WingTsun rühmt sich immer schon damit, ein System mit möglichst wenigen Techniken zu sein. So schrieb Großmeister Kernspecht in seinem Buch „Vom Zweikampf“ schon über die Nachteile eines Stiles mit mehr als 100 Techniken. Die Entscheidungszeitspanne und somit eine getimte Abwehr wären einfach zu lang. Richten wir noch einmal den Blick auf die Prinzipien. „Nimm auf was kommt“ beschreibt in keiner Weise, wie der Übende das machen soll. Er soll es nur tun. Jetzt stelle sich einer vor, dies würde die Antwort eines Meisters auf die Frage eines Schülers sein. Der Schüler kann nun verzweifeln oder er ist ein motivierter und vor allem WingTsun talentierter Schüler und erreicht mit viel Training und Studium das Ziel.
Wir glauben, dass wir in den wenigen Zeilen nun schon ganz gut klar machen konnten, warum wir Techniken brauchen. Aber wir dürfen nicht vergessen warum wir die Techniken machen. Wir machen Sie, um das Prinzip zu tun oder anzuwenden und es zu verinnerlichen. Nicht weil die Techniken das Ziel sind. Wir sollen nicht die Formen oder Techniken tun oder anwenden. Wer aber 10 Jahre die Technik trainiert, um einmal das Prinzip tun zu können, verliert schon mal gerne das Ziel aus den Augen. Dafür haben wir unsere Lehrer, Meister und Großmeister, welche uns immer wieder daran erinnern, was das Ziel denn nun wirklich ist.
Die Formen des WingTsun Stiles, sechs Stück an der Zahl, sind ein Werkzeug für Körperbewusstsein und Ansteuerungsarbeit. Wir würden sogar behaupten, dass diesen mehr eine kognitive Bedeutung zugesprochen wird. D.h., dass Formen eine mentale Übung für Körper und Geist sind, in welcher wir lernen, uns zu konzentrieren sowie Körperbewegungen bewusst wahrzunehmen. Großmeister Keith R. Kernspecht hat dazu vor nicht all zu langer Zeit folgende Unterteilung niedergeschrieben:
Mit dieser „Formel“ kann der Übende auch ganz leicht seinen Trainingsfortschritt dokumentieren oder verinnerlichen. Wobei die „bewusste Kompetenz“ ohne Unterrichtserfahrung sicherlich schwer zu erreichen sein wird. Unsere Formen sollen so lange geübt werden, bis die oben erwähnten Prinzipien verstanden worden sind. Formen, sowie auch Partnerformen, sind nur Beispiele für eine Vielfalt von Möglichkeiten. Die Art und Weise, wie jemand diese Formen ausführt, gibt Aufschluss darüber, wie gut, oder auch schlecht, WingTsun verstanden worden ist. Übt ein WingTsun Anwender die Formen wie eine Kata, denkt er wohl dabei an eine Aneinanderreihung von Techniken. Somit ist er im Anfangsstadium (Technik – Prinzip – WingTsun) des WingTsun, egal welcher Stern, Faust oder sonstiges Abzeichen auf seiner Brust klebt. Sieht er aber seine Formen als Teil seiner Fertigkeiten um Fähigkeiten zu entwickeln, ist der Übende auf dem richtigen Weg. Für WingTsun praktizierende Männer und Frauen sind Formen Idealtechniken. Sie sind nicht anwendbar.
Einige Begriffe haben sich zu früheren Versionen verbessert. So hat der Begriff der Beweglichkeit zur Gewandtheit gewechselt, um die Konzentrierung auf die Rumpfbewegung zu lenken. Die Körpereinheit wurde neu definiert, sodass es heißt: „bewegt sich ein Körperteil, bewegt sich der ganze Körper.“ Im Gegensatz dazu steht das veraltete Motto: „Bewegt sich der Körper, bewegen sich die Arme nicht. Und umgekehrt.“ So wie die Prinzipien wieder neu entdeckt wurden, müssen auch die Mottos dazu neu angepasst werden. Mehr Informationen zu den großen Sieben finden wir auch im Buch „Kampflogik 3“ von GM Keith R. Kernspecht.
Unser WingTsun will die oben genannten Prinzipien anwenden. Das geschieht mit Hilfe der sieben großen Fähigkeiten und der modernen Sportwissenschaft und Pädagogik. Unter Berücksichtigung dieses wissenschaftlichen Aufbaus von Sport und Trainingslehre, kommt am Anfang immer die Grobmotorik, dann die Feinmotorik. So können wir als Kampfkünstler nicht erst mit der „Kirsche auf der Torte“ (Zitat GM Kernspecht) beginnen, sprich den Handbewegungen, sondern müssen uns um die großen Körperbewegungen kümmern. Beweglichkeit und Balance schaffen wir durch Entspanntheit und Ansteuerung. Körpereinheit durch Beweglichkeit, Balance und Timing. Timing durch Aufmerksamkeit und Staffel der Sinne. Staffel der Sinne durch Aufmerksamkeit und Bereitschaft. Und der Kampfgeist? Dieser steigert sich zu Können und Einstellung. All diese Fähigkeiten sind dazu da, um die an der Spitze stehenden Prinzipien zu meistern.
Für das Handeln in gewalttätigen Situationen und um eine Basis für theoretische Ansätze zu schaffen unterscheiden wir in Transfer von sozialen Kompetenzen und Wissenstransfer. Jede Situation ist einzigartig und verlangt die Anpassung des Anwenders der präventiven Maßnahme. Sei es nun in verbaler-, kinästhetischer- oder körperlicher Form. Hier sprechen wir von situationsspezifischem Handeln. Erwartungen, Transfer wie auch Unterricht sind zielorientiert, d.h. wir streben Unterrichtsziele an, welche wir für angemessen und geeignet halten. Im spezifischen Kleingruppenunterricht, versuchen wir die Ziele zu definieren oder einzuschränken. Für den Gruppenunterricht haben wir aber meist mehrere bis viele z.T. widersprüchliche Ziele gleichzeitig – u.a. das Ziel, im Einklang mit Vorschriften und ethischen Normen zu handeln -, so dass das optimale Verhalten in einem Kompromiss zwischen den Mitteln im Hinblick auf die verschiedenen Ziele darstellt. Es wird davon ausgegangen, dass Anwender sich bemühen, angemessen zu handeln.
Um Transfer zu schaffen, müssen Ziele definiert werden.
Im Hinblick auf den Laien, also dem Lernendem, soll Transparenz zu den Inhalten und dem Fortschritt der Anwendbarkeit auf sich neu bildende Probleme geschaffen werden. Eine explizite Zieldefinition schränkt subjektive Wahrnehmung ein, lenkt den Schüler in erfolgversprechende Bahnen und gibt Rückmeldung über die Lenkung. Und wer sich nicht anpasst, der erstarrt, wird greifbar und somit zur Trophäe anderer. Am Ende gibt es keine manifeste Lösung – Kung Fu, harte Arbeit.
Rotationen, Kippbewegungen, Armbewegung und Schrittarbeit sind fein aufeinander abgestimmt!
Wieder einmal findet das Thema SOLO-FORMEN und PARTNER-FORMEN einen Platz in unserem System. Dieses Trainingsmittel schafft nicht nur Bewusstsein über die eigenen Bewegungen, sondern auch ein Körpergefühl für die zeitliche Anordnung von Rumpf, Arm und Schrittarbeit. Ein Bestandteil von Timing ist die Spannung bzw. Entspannung der Körpermuskulatur. Bewegung ist nur möglich, wenn der zu bewegende Muskel sich in reaktionsbereiter Entspanntheit befindet, oder durch den Körper des Angreifers schon vorgespannt ist. Durch Solotraining können wir in völliger Isolation zum Angreifer unsere Bewegungen optimieren und begutachten. Unser eigener Körper dient uns dabei als Rahmen einer optimierten Bewegung. Je besser wir die Maße unseres eigenen Körpers kennen, desto koordinierter sind die Bewegungen unserer Extremitäten und des Rumpfes, um diesen unseren Körper zu schützen.
Bewegt sich der Gegner nicht, beweg ich mich auch nicht – bewegt sich der Gegner, bin ich schon da!
Die Bedeutung dieses Satzes erschließt sich natürlich erst in der Praxis. Zudem darf ein Trainierender diesen Satz nicht zu wörtlich nehmen. Natürlich müssen wir schon da sein, um uns nicht zu bewegen. Wir nehmen unsere Vorkampfstellung schon lange vor dem ersten Kontakt ein. Nämlich dann, wenn sich die Blicke des Angreifers mit den des Verteidigers berühren. Der Verteidiger muss seine Position die des Angreifers schon angepasst, seinen Stil schon erkannt und seine Absichten schon adaptiv vorweg genommen haben. Der Ort des Geschehens ist mit der Aufmerksamkeit des WingTsun Mannes schon aufgespannt worden. Körper und Geist befinden sich schon in der Reaktionsphase, sind also schon in der vollen Balance mit sich und der Umgebung. Da wir nun schon da sind, brauchen wir uns auch nicht mehr bewegen, wenn der Angreifer seine Position nicht verändert.
Tut er das doch, sind wir aufgrund unserer Bereitschaft schon einen Schritt weiter. Wir sind schon im Ziel, weil wir die Bewegung des Gegners adaptiert und die Lücke der Bewegung für uns genutzt haben. Da wir uns mit der Veränderung des Angreifers verändern, ist eine Abwehr nicht mehr möglich. Nur noch die Anpassung an die Anpassung könnte diesem Angreifer jetzt noch vor dem Verderben schützen. Wesentlich ist es auch, jede Bewegung des Angreifers als Anlass für einen Gegenangriff zu sehen. Da wir unsere Position schon eingenommen haben (in der Voraussetzung, dass unsere Position die richtige ist), kann der Angreifer sich nur für zwei Optionen entscheiden. Die Veränderung aus der „Ideallinie“, welche eine Lücke zum Ziel schafft, oder den Kontakt mit unseren Händen, welche eine Anpassung an die Veränderung der situationsspezifischen Bewegung bei uns hervorruft, welche uns in die neue „Ideallinie“ drückt und wir somit wieder DA SIND.
Die völlige Entspanntheit birgt eine Gefahr, welche nur der Kampferprobte WingTsun-Schüler erkennen kann. Die des getroffenen Werdens! Plötzlich entsteht ein Dilemma. Die Anspannung in unseren Armen und im Körper darf nicht zu stark sein, da wir sonst bei Druckausübung viel zu leicht aus dem Gleichgewicht kommen, bzw. unsere Reaktionskraft für einen ansatzlosen Angriff nicht nutzen können. Haben wir jedoch keine Spannung in unseren Armen, hat der Angreifer leichtes Spiel vorausgesetzt dieser befindet sich schon in seiner Angriffsposition. Was sollen wir nun tun: Spannung, um nicht getroffen zu werden? Entspannung um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen? Da es hier um Timing geht, ist die Antwort auf dieses Dilemma eine Einfache, und doch zugleich Schwierige. Das Richtige tun, im richtigen Moment am richtigen Ort. Jede Vorwärtsbewegung beinhaltet eine Rückwärtsbewegung. Verteidigung beinhaltet auch Angriff. Entspannung benötigt Anspannung. Es besteht also eine Kausalität zwischen Timing, Beweglichkeit und Gleichgewicht.
Diese Anordnung lässt sich beliebig darstellen. Gehen wir davon aus, dass wir Timing verbessern wollen, kann dies nicht geschehen, ohne an unserem Gleichgewicht zu arbeiten, da wir dieses für den Angriff sowie für die Abwehr benötigen. Die Beweglichkeit ist die Voraussetzung für ansatzloses Schlagen oder Bewegen mithilfe des Gestänge Modells. Gewandtheit und Körpereinheit unter Mithilfe des Tastsinns ermöglichen es uns erst das Richtige zu tun am richtigen Ort. Und ohne die Achtsamkeit, hätten wir den Angriff schon längst übersehen. Wir spannen also unsere Achtsamkeit in den Raum zwischen uns und unserem Angreifer. Dafür benutzen wir unsere Extremitäten, welche ja am Rumpf fixiert sind. Also muss auch dieser in eine Bereitschaftsposition gebracht werden. Wie ein Spinnennetz nehmen wir den Freiraum ein. Flexibel und dennoch stabil gegen Umgebungseinflüsse.
Damit wir stabil sein können, müssen wir schon DA-SEIN. Wir dürfen die Stärken des Angreifers nicht zulassen und seine Bewegungen schon im Ansatz behindern, sodass wir keine Positionierung unseres Gegenübers zulassen. Dafür gibt es viele Trainingsmethoden, wie das „spiegeln von Positionen“ (BlitzDefence) oder den spielerischen Freikampf unseres LatSao Trainings. Im BlitzDefence wollen wir unserem Angreifer unser System aufzwingen, also schon bereit sein. Angreifen vor dem Angriff des Gegners. Das bedingt, dass wir unsere Angriffsposition schon eingenommen haben, bevor es der Gegner machen kann. Im LatSao beginnt man sich mit den Veränderungen des Gegners zu verändern (Schrittarbeit) und fokussiert den Angriff wenn sich das Gegenüber öffnet.
Die dritte und gleichzeitig fortgeschrittene Trainingsmethode ist das „Gestänge Modell“! Die ideale Trainingsmethode für zwei WingTsun Übende. Warum? Weil sie davon ausgeht, dass beide in der Idealposition stehen und es somit nur zwei Varianten gibt: Die des Öffnens, oder die des Druckerzeugens auf unser Leichte- oder Schwerezentrum. Wenn sich unser Gegner öffnet, können wir in diesem Moment angreifen oder sein Gleichgewicht rauben. Erzeugt der Gegner Druck auf uns (Arme, Beine oder Körper) sind wir im Stande diesen Druck aufzunehmen, abprallen zu lassen oder wiederzugeben.
ChiSao bedeutet, das aufzunehmen was gerade kommt. Ertasten wir NICHTS, ist der Weg frei und wir können nach vorne gehen oder die Leere mit unserer Achtsamkeit aufspannen. Sind wir in Fühlung mit unserem Gegenüber, haben wir mehrere Optionen mit dem Erfühlten umzugehen. Manchmal ist der Wiederstand groß, manchmal eher schwach. Je nach Ausgangssituation der eigenen Körperkraft und die des Gegners, können wir mithilfe des Tastsinns Optionen abwiegen, wie der nächste Schritt den aussehen soll. Dabei spielt wieder unsere eigene Ausgangsposition eine wesentliche Rolle. Eine gute Position geben wir nicht einfach auf, nur weil wir Kontakt spüren. Eine Schlechte hingegen liefert uns sofort die Information, dass wir uns bewegen müssen. Unnötige Wechsel sollten hier tunlichst vermieden werden. Der Tastsinn gibt uns die Klarheit darüber, was der Gegner IST. Steht er gut! Hat er eine gute Position! Zieht er zurück, oder drückt er nach vorne/oben/unten!
Das Timing im ChiSao ist eigentlich sehr simpel erklärt. Der Gegner/Trainingspartner entscheidet durch seine Bewegung, wann der richtige Zeitpunkt erlangt wurde, die eine oder andere Option zu wählen. Lässt uns der Gegner/Trainingspartner jedoch Türen offen, durch welche wir hindurch gehen können um unser Ziel zu erreichen, wechselt die Taktik schlagartig. Nämlich in LatSao – die freie Hand! Ist der Weg frei, stoß vor (3.Prinzip im WingTsun). Nur der aufmerksame Trainingspartner, oder die eigene Unentschlossenheit, kann uns zu unserem zweiten Prinzip zwingen (Begleite was geht).
Um also ChiSao einzusetzen, bedingt es einer Kräftekollision mit meinem Gegenüber. Die Kollision kann in beiden Richtungen ungleich groß sein, oder sich aufheben. Für diesen Zweck erlernen wir im WingTsun System verschiedene Strategien, mit Kraft umzugehen (siehe Buch „Inneres WingTsun“).
Rasante Richtungswechsel, unerwartete Bewegungsfolgen, aber auch spontane Abwehrhandlungen und schnelle Gegenangriffe machen den Zweikampf komplex und schwer abstimmbar. Was dem außenstehenden Beobachter begeistert, ist jedoch für den handelnden Akteur aufgrund der zeitlichen Enge des Handlungsgeschehens kaum mehr bewusst zu kontrollieren. Die Frage nach den Bedingungen eines schnellen Handelns kann aus unserer Sicht von zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. So ist die motorische Bewegungsschnelligkeit, die man in der Trainingswissenschaft untersucht, von den Grundlagen der schnellen Informationsverarbeitung zu unterscheiden, denen in der kognitionspsychologisch ausgerichteten Bewegungswissenschaft nachgegangen wird.
Im WingTsun spielen das schnelle Identifizieren von Umweltreizen, das darauf ausgerichtete Entscheiden und die Programmierung einer motorischen, aber nicht konditionierten Antwort eine maßgebliche Rolle. Für diese, einer Stufenlogik folgenden Sichtweise, werden häufig zwei scheinbar offensichtliche – und daher nicht weiter hinterfragte –Prinzipien unterstellt: dass nämlich all die Handlung auslösenden Bewegungsreize bewusst repräsentiert wären und die Handlung selbst als Endresultat einer zugehörigen seriellen Reizverarbeitung zu begreifen sei. Oder anders gesagt, eine Handlung aus dem Erfahrungslernen resultiert.
So hängt die Handlungsauslösung ganz wesentlich von der Handlungsvorbereitung ab, wobei dem auslösenden Reiz der Boden bereitet und eine sehr schnelle – weil kooperative – Verarbeitung ermöglicht wird. Durch diese Form der Handlungskontrolle sind sehr schnelle, aber eben nur bedingte Bewegungsreaktionen möglich. Durch kooperative Reaktionen des Individuums sind keine bewussten Identifikationsprozesse erforderlich, die wegen der großflächigen Vernetzung von Hirnarealen im Zuge von rationalen Entscheidungen zu viel Zeit erfordern würden. Dies entspricht den Fühlfähigkeiten des WingTsun Systems. Falls solche Bewegungsreaktionen schon fix vorgefertigt sind, geht die Schnelligkeit zu Lasten einer Handlungsflexibilität, die dann gefordert wäre wenn unerwartete Reize auftreten, verloren.
Wenn z. B. die Abwehrreaktion eines Kampfsportlers eher durch das Abblocken der Faust (Handlungseffekt) als durch die dafür notwendige Körperbewegung aus der Schlagrichtung (Handlung) angetrieben wird.
Das Besondere im WingTsun besteht nun darin, dass der Trainierende nicht auf Einzelreize, wie blinkende Lampen oder piepsende Töne reagieren muss, sondern auf das gegnerische Bewegungsverhalten. So kann es sein, dass nicht der einzelne Reiz, sondern die perzeptuelle Repräsentation eines Bewegungsablaufs, die Bewegungsreaktion auslöst. Dabei muss der WingTsun Mensch unter größter Aufmerksamkeit ständig das gegnerische Bewegungsverhalten verfolgen, indem er fortwährend neue Handlungsalternativen durch deren erwartete Effekte vorbereitet und im nächsten Augenblick auch wieder verwirft. Zur Handlungsauslösung kommt es erst dann, wenn eine überschwällige Handlungsabsicht vorliegt.
Als Fazit dieses komplexen Absatzes, lässt sich aus der Sicht der Kampfkunst WingTsun die Schnelligkeit nur durch ein genauestens getimtes Handlungsverhalten mit optimal vorbereiteten und angepassten Bewegungsaktionen determinieren.
Durch unser sogenanntes „propriozeptives“ Training, sorgen wir dafür, dass aus Fauststößen harmlose „Püffe“ werden: „[…] durch ChiSao und unser ReakTsun Programm. `Nimm an, was kommt`, heißt: `Kein Widerstand! `, denn der ist zwecklos gegen Stärkere. Stattdessen benutzen wir bei der ersten Fühlungsaufnahme (1.Timingpunkt) Adaption und passen uns dem Aggressor und der Form des Angriffes so an, dass wir mit ihm zu einem Körper werden. Zu diesem Zwecke verbinden (verhaken, verkanten) wir unseren Arm (bzw. unsere Arme) diagonalisierend mit seinem Angriffsarm. Indem wir durch Protraktion & Evasion den Weg und damit die Einwirkzeit des Schubses (Stoßes) verlängern, bremsen wir die Kraft fast unmerklich bis zur Unwirksamkeit und zum Umkipp-Punkt herunter. (Die Essenz des WingTsun!)
Der Moment des sich Entziehens und unseres Gegenangriffes scheint optisch gleich dem Angriff des Aggressors zu sein. Jedoch müssen wir zum „bremsen“ der einwirkenden Kraft ein wenig später starten, um dieses zu ermöglichen. Da dies einem Ungeübten wohl nicht gelingen mag, ohne Druck (Widerstand) aufzubauen oder gegengesetzt dazu das Gleichgewicht zu verlieren, durchläuft dieser erst mal die Lernphasen des WT. Mit dem Ziel, durch die „Bewegung des Augenblickes“ müheloses Kontern zu erreichen. Das Lernen folgt dem Lerntransfer, und der Lerntransfer dem Lernen.
Diese Bewegung ist keine Technik, sondern die Fähigkeit des Handelnden, seine ihm gegebenen Ressourcen (auch die antrainierten) in eine optimale Wirksamkeit zu bringen. Und zwar für das in diesem Augenblick gestellte Problem. Eine Überreaktion ist so nicht möglich (nicht zu viel, und nicht zu wenig). Die Fertigkeiten adaptieren die gegnerische Bewegung (pädagogischer Takt) und entscheiden so über die nötige Intensität der Gegenwehr (innere Differenzierung).
Konditionierte Handlungen können bei mangelhaften Interventionshandlungen de-automatisieren. D.h., dass ein Automatismus erzeugt wurde, welcher hemmend zur Lösung neuer Aufgaben wirkt. In unserem Fall wäre dies ein negativer Transfer, welcher auf einem fertigkeitsorientierten Unterricht, bestimmt durch Auswendiglernen, basiert.
Wenn wir unsere Achtsamkeit, den Kampfgeist und die vier körperlichen Fähigkeiten entwickelt haben und die Meisterschaft der Bewegung des Augenblicks anstreben, können wir uns dem Timing als additive Übungsaufgabe nicht entziehen. Ohne Erfahrung im Echtkampf oder Unterrichtstätigkeit, hinken wir dieser Fähigkeit meist praktisch hinterher. Speziell im Unterricht benötigen wir auch visuelle Erfahrungen und Standbilder, um Bewegung begreifen zu können. Entscheidungen treffen wir schon länger nicht mehr aufgrund unserer Intuition oder unserer natürlichen Erfahrungen. Konditionierung und manifestes Denken begleiten uns seit der Kindergartenzeit. Wir lieben es nun mal, nach oben aufzusehen und jemanden zu folgen, sowie nach unten zu blicken und Positionen des Erfolges, oder anders gesagt Standbilder unseres Selbst, als Können zu präsentieren. Die Meisterschaft erwartet von uns aber Demut als wahrer Könner. Uns soll keine Ästhetik am Bewegen behindern, keine Show soll uns zu ineffektiven und künstlichen Formationen leiten.
Die Kontrolle verleitet dazu, auf den ersten Blick das oberste Gut zu sein. Verstehen wir doch darin, unseren Gegner zu führen, zu begleiten und ihn manipulieren zu können. Aber er könnte dies doch auch tun?! Solange man im Kontakt (visuell wie taktil) mit meinem Gegenüber ist, sieht man in einen Spiegel seiner Selbst. Seine Bewegungen sind meine Bewegungen. Seine Veränderung ist meine Veränderung. So halten wir ein ständiges Gleichgewicht der Kräfte! Wie zwei Klingen die sich kreuzen.
Das Risiko möchten wir doch gerne vermeiden. Keine Spielchen, denn es geht ja um unsere Gesundheit und im schlimmsten Falle um unser Leben. Aber ohne Risiko, können wir auch nicht mühelos sein. Denn der Kontakt mit dem Gegner ist nicht unsere erste Priorität. Wir wollen Nicht-kämpfen oder den Kampf sofort beenden, die Lücken nutzen und unseren Angreifer kampfunfähig machen. Dazu müssen wir all unsere Fähigkeiten zeitlich perfekt aufeinander abstimmen. Jeder taktile Kontakt zum Gegner bremst unsere Vorwärtsbewegung (Faustschlag, Stoß, Tritt, usw.) oder verzögert seine Wirksamkeit (Reaktion auf den Wiederstand). Risiko birgt natürlich auch die Gefahr, selbst getroffen zu werden, da unsere Hände bzw. unsere Beine parallel zu den des Gegner stehen müssen, um FREI zu sein.
Wer das Prinzip verstanden hat, kann Technik zur Übung machen! Wenn wir also das Ziel unseres Handelns determiniert haben, können wir jede nur erdenkliche Übung daraus ableiten. Ob „traditionell“ oder „modern“. Ob „unspezifisch“ oder „gerichtet“. Mühelos muss es sein.
Timing macht WingTsun zu einem wahren inneren Stil, zu etwas Form- und Techniklosen. Alleine die Definition „das Richtige tun …“ dieser Fähigkeit gibt dem Gewinner einer Auseinandersetzung Recht. WingTsun ist Lebendigkeit und Vielfältigkeit.
Ich sehe es so, dass die großen Geister der Kampfkünste sich von allem was ihr Denken behindert könnte befreit haben müssen. Bruce Lee, GGM Leung Ting, GGM Kernspecht und die Meister der EWTO sind diejenigen Personen, welche ich bis jetzt theoretisch oder praktisch studieren durfte. Ich sage dies nicht, um die Gunst einer einzelnen Person zu erlangen. Der Erfolg gibt Ihnen nun mal Recht. Und es wird noch viele andere geben, die in Ihrer Kampfkunst ebenso Erfolgreich sind, die ich nicht kenne. WingTsun ist ein Begriff für Etwas, für das wir keinen Namen haben. Eine Art innere Ausgeglichenheit, Klarheit oder Qi (Energie). Wir tun das, was uns möglich ist zu tun, um Wirkung zu erzeugen. Und solange uns Jemand einen immer besseren Weg zeigen kann, können wir auch lernen. Und wenn wir es selbst sind.
Wir haben unsere Ziele formuliert, wir wissen was wir wollen. Die EWTO hat dies sogar in Form von Laufzetteln objektiv nachvollziehbar gemacht. Es gibt einen schier endlosen Pool an Übungen, Sektionen, Abläufen und dergleichen Trainingsmustern, mit deren Hilfe wir unsere Fähigkeiten darstellen können. Niemand wird je daran zweifeln, Weniger als Mehr zu favorisieren, wenn es um die Erlernbarkeit einzelner Fähigkeiten geht. Aber wir brauchen Vielseitigkeit und Abwechslung, um unseren Körper im ständigen „Wachstum“ der Bewegungsfähigkeit zu halten. Jede Epoche unseres WingTsun Trainings hatte seine Schwerpunkte, aber Timing war schon immer die Königsdisziplin.
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